- Medizinnobelpreis 1996: Peter Doherty — Rolf Zinkernagel
-
Der Australier und der Schweizer erhielten den Nobelpreis für ihre Entdeckung zur zellvermittelten Spezifität der Immunabwehr gegen Viren.BiografienPeter Charles Doherty, * Brisbane 15. 10. 1940; 1970 Promotion, 1972-75 an der Australian National University (Canberra, Australien) tätig, 1975-82 Professor am Wistar Institute (Philadelphia, USA), 1982-88 Direktor des Instituts für experimentelle Pathologie an der Universität in Canberra, seit 1988 Immunologe an einer Kinderklinik und Professor für Pathologie und Kinderheilkunde in Memphis (USA).Rolf Martin Zinkernagel, * Basel 6. 1. 1944; 1970 Promotion, 1971-73 biochemische Studien an der Universität in Lausanne, 1973-75 an der Australian National University (Canberra, Australien), 1976-79 am Research Institute of Scripps Clinic (La Jolla, Kalifornien), Professor für Pathologie, ab 1979 am Universitätskrankenhaus Zürich, dort seit 1992 Direktor des Instituts für experimentelle Immunologie.Würdigung der preisgekrönten LeistungAuf dem zweiten internationalen Immunologiekongress in Brighton 1974 trugen zwei junge Laborwissenschaftler eine neue, experimentell untermauerte Theorie vor, wie das Immunsystem Viren erkennen könne. Im gleichen Jahr veröffentlichte die Zeitschrift »Nature« zwei kurze Artikel dazu. Daraufhin erhielten Doherty in den USA und Zinkernagel in Europa zahlreiche Einladungen, ihre Ergebnisse vorzutragen, und schon bald wurde ihr Grundmodell der zellvermittelten Spezifität weithin akzeptiert. Es erwies sich für weitere immunbiologische Forschungen als sehr fruchtbar.Ein neues Grundmodell der ImmunologieBis dahin war rätselhaft, wie die Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) im Immunsystem Viren bekämpfen können, denn diese befinden sich im Unterschied zu anderen parasitären Mikroorganismen wie zum Beispiel Bakterien innerhalb der körpereigenen Wirtszellen. Hierzu mussten die T-Lymphozyten (natürliche Killerzellen) — deren Fähigkeit, körperfremde Eiweißzellen zu identifizieren, bekannt war — auch in der Lage sein, die durch ein Virus veränderten körpereigenen Zellen zu erkennen und wirksame Antikörper zu entwickeln.Bei ihren immunologischen Experimenten in Canberra infizierten Doherty und Zinkernagel verschiedene Stämme von Labormäusen mit einem Virus, das Hirnhautentzündung auslöste. Erwartungsgemäß enthielt die Hirnflüssigkeit nach wenigen Tagen T-Lymphozyten, die im Reagenzglas positiv auf das Virus reagierten und die infizierte Zellkultur abtöten konnten. Doch die von einer Maus gewonnenen T-Lymphozyten reagierten nicht auf die mit dem gleichen Virus infizierten Zellen einer anderen Maus. Um diese angestrebte immunisierende Wirkung noch zu erreichen, wurde weiter experimentiert und herausgefunden, dass sie sich doch regelmäßig einstellte, wenn die Mäuse genetisch verwandt waren. Diesen Effekt konnten Doherty und Zinkernagel auf die »Histokompatibilitätsantigene« zurückführen, die vor allem aufgrund ihrer Abstoßungsreaktionen etwa nach einer Organtransplantation den Wissenschaftlern bekannt waren. Folglich können die T-Killerzellen nur dann aktiv werden, wenn ihre Rezeptoren an den Eiweißgruppen auf der Oberfläche der anderen Zelle sowohl Hinweise auf ein Virus als auch auf ein kompatibles Transplantationsantigen wahrnehmen, nicht aber, wenn ein unbekanntes Virus oder ein körperfremdes Antigen oder beides gegeben sind.Mit dieser Theorie konnten die herrschenden Lehrmeinungen der Immunologie in den USA, die von anderen komplexeren Modellen der Virenbekämpfung ausgegangen und experimentell dementsprechend verfahren waren, als überholt gelten. Zahlreiche neue Forschungsprojekte in aller Welt konnten daraufhin erfolgreich durchgeführt werden. Anwendungsbereiche über die Virologie hinaus sind einerseits die gezielte Aktivierung des Immunsystems etwa gegen Krebszellen, andererseits spezifisches Gegensteuern bei Fehlfunktionen und Autoimmunkrankheiten wie Diabetes oder Multiple Sklerose. Das Immunsystem stellt ein besonders vielseitiges und wichtiges Feld der Grundlagenforschung dar. Erkenntnisse darüber sind häufig mit dem Nobelpreis für Medizin oder Physiologie bedacht worden. Dennoch waren Doherty und Zinkernagel, denen 1983 gemeinsam der Paul-Ehrlich-Preis verliehen wurde, von der Verleihung des Nobelpreises 1996 überrascht.Absichten und Zufälligkeiten im internationalen ForschungsbetriebDer australische Veterinär Peter Doherty hatte sich schon früh für Laborforschungen zu Infektionskrankheiten interessiert und hatte nach mehrjährigem Forschungsaufenthalt in Schottland seine Stelle aufgegeben, um seine virologischen Fragestellungen in der Immunologie an der Universität Canberra weiterzuentwickeln. Er erhielt eine Anstellung im Department of Microbiology of the John Curtin School of Medical Research an der Australian National University. Dort wurde ihm der Schweizer Arzt Rolf Zinkernagel als Gastwissenschaftler zugewiesen, der nach naturwissenschaftlicher Fortbildung in Basel und Zürich sowie immunologischen Forschungen in Lausanne für ihre gemeinsamen Versuchsreihen von 1973 bis 1975 vor allem die Analysetechnik beisteuern konnte.In der anregenden Forschungsatmosphäre des »University Ghetto« in Canberra wurden kritische Diskussionen geführt und Freundschaften geschlossen, doch mit Ablauf der befristeten Stellen musste Familie Zinkernagel nach Boston und La Jolla in die USA auswandern, bis ein Lehrstuhlangebot aus Zürich erfolgte. Auch Doherty ging mit seiner Familie in die USA, um eine Professur in Philadelphia anzutreten, kehrte in den 1980er-Jahren aber noch einmal nach Canberra zurück, um die Leitung der Abteilung für Pathologie zu übernehmen, und arbeitet seitdem wieder in den USA als Immunologe am St. Jud Children's Research Hospital. Er ist ebenfalls Lehrstuhlinhaber für Pathologie und Kinderheilkunde an der Universität in Memphis. Aufgrund der gemeinsam veröffentlichten Forschungsarbeit waren beide schließlich jeder für sich als Immunologen etabliert. Erwähnenswert erscheint schließlich der äußere Anlass dieser erfolgreichen Kooperation, nämlich dass Peter Doherty sich bereit erklärt hatte, seinen Laborplatz mit dem Gastwissenschaftler zu teilen.
Universal-Lexikon. 2012.